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ÜBERDETERMINIERUNG Sobredeterminación (comp.) Justo Fernández López Diccionario de lingüística español y alemán
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„Überdeterminierung
Aus den Schriften Sigmund Freuds: Wenn ein Symbol auf mehrere isolierten oder verwandten Quellen zurückgeht, wird es als überdeterminiert bezeichnet. Freud betrachtet das Traumsymbol als überdeterminiert, da man es, will man es vollständig erklären, nicht nur mit einer Quelle oder einer BEDEUTUNG zu tun hat, sondern mehrere untereinander zusammenhängende Quellen und Bedeutungen in Betracht ziehen muss. Hinsichtlich eines seiner eigenen Träume stellt Freud fest, dass es bestimmte Elemente, so genannte 'Knotenpunkte' gibt, 'in denen sehr viele der Traumgedanken zusammentreffen, weil sie mit Bezug auf die Traumdeutung vieldeutig sind' (1972, 286). Im selben Absatz erklärt er den Begriff dann aber noch etwas anders: 'Jedes der Elemente des Trauminhaltes erweist sich als überdeterminiert, als mehrfach in den Traumgedanken vertreten' (1972, 286).
In einen etwas allgemeineren Sprachgebrauch hat der Begriff im Sinne der ersten Definition – ’viele bestimmende Kräfte, die sich zu einem Symbol (bzw. Ereignis oder Zustand) verbinden’ – Eingang gefunden. Wenn etwas überdeterminiert ist, 'explodiert' es bei seiner ANALYSE oder Erklärung in viele einzelne Teile oder Quellen: Ein Kommentar ist länger als das Symbol, weil das Symbol sehr konzentriert ist. Traumanalysen sind ebenso wie Analysen dichterischer Symbole immer viel umfangreicher als die Symbole selbst.
In den 60er Jahren wurde ’Überdeterminierung’ quasi zu einem Modewort, nachdem der französische marxistische Philosoph Louis Althusser einen Aufsatz mit dem Titel 'Widerspruch und Überdeterminierung' veröffentlicht hatte (in Althusser 1968, 52‑99). Er verwendete den Begriff in einem historisch‑politischen Sinne: Verschiedene soziale Kräfte konnten in ein einziges, überdeterminiertes Ereignis, wie etwa eine Revolution, münden.
Eine Reihe wissenschaftlicher Disziplinen sahen im Konzept der Überdeterminierung eine Warnung vor vereinfachenden Ursache‑Wirkung‑Schemata. Es war ebenso unwahrscheinlich, dass die Analyse von Symbol und Ereignis sich in der Bezugnahme auf eine einzige Ursache erschöpfen konnte, wie dass eine einzige Ursache zu einem isolierten Ereignis führen würde. Und da man es des Weiteren bei der Überdeterminierung mit gegensätzlichen Kräften zu tun hatte, konnte dieses Kräftespiel auf Grund der durch komplexe VERMITTLUNGsprozesse verursachten Abweichungen zu einem ganz anderen als dem erwarteten Ergebnis führen. Wie T.S. Eliot es ausdrückte: 'History has many cunning passages.' Zum Vergleich sei ein Kommentar von Friedrich Engels zitiert:
Zweitens aber macht sich die Geschichte so, dass das Endresultat stets aus den Konflikten vieler Einzelwillen hervorgeht, wovon jeder wieder durch eine Menge besonderer Lebensbedingungen zu dem gemacht wird, was er ist; es sind also unzählige einander durchkreuzende Kräfte, eine unendliche Gruppe von Kräfteparallelogrammen, daraus eine Resultante – das geschichtliche Ergebnis – hervorgeht, die selbst wieder als das Produkt einer, als Ganzes, bewusstlos und willenlos wirkenden Macht angesehen werden kann. Denn was jeder Einzelne will, wird von jedem andern verhindert, und was herauskommt, ist etwas, das keiner gewollt hat. (Marx & Engels 1974, 464; die Passage stammt aus einem Brief an Joseph Bloch vom September 1890.)
Die Analyse literarischer Symbole hat sich immer in weit geringerem Maße als die Analyse von Traumsymbolen auf KAUSALE oder GENETISCHE Faktoren konzentriert. Dennoch wirkte die Übernahme des Konzepts der Überdeterminierung in der Literaturwissenschaft simplifizierenden Ansätzen entgegen, literarische Werke oder Aspekte davon geradlinig auf einen 'Ursprung' zurückführen zu wollen.“
[Hawthorn, Jeremy: Grundbegriffe moderner Literaturtheorie. Tübingen und Basel: Francke, 1994, S. 331-332]
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